Sonntag, 31. Juli 2011
Hochtourenwoche im Wallis
Ursprünglich wollte ich zusammen mit meiner letztjährigen Hochtourenpartnerin dieses Jahr wieder ein Bergführer nehmen. Leider konnten wir keinen gemeinsamen Termin finden. Danach hat mir der Bergführer einen Tourenvorschlag im Wallis gemailt, der mich sehr gereizt hat. Also habe ich mir gedacht: Was soll's, gönne ich mir doch mal den Luxus eines Privatbergführers. Ich habe schließlich auch schon monatelang Projekte in Frankfurt gemacht, wo ich nur gearbeitet und in einem Hotel übernachtet habe.

Ich war schon mehrmals in der Monta-Rosa-Gruppe unterwegs und habe dort schon einige Gipfel gesammelt. So war ich schon auf der Dufourspitze, dem Nordend, auf Castor und Pollux und habe die Breithorn-Überschreitung gemacht. In dieser Kette fehlt mir aber noch die Lyskamm-Überschreitung und ein paar Viertausender rund um die Signalkuppe. Diese fehlenden Gipfel sollten in der Hochtourenwoche mit dem Privatbergführer gesammelt werden, siehe folgendes Bild.

In dem folgenden Bild sieht man von links nach rechts: Nordend, Dufuorspitze, Parrotspitze, Ludwigshöhe, Schwarzhorn und Lyskamm. Zwischen der Dufuorspitze und der Parrotspitze gibt es noch die Zumsteinspitze und die Signalkuppe, die von einem Kamm der Dufourspitze verdeckt sind:



Dieses Jahr hatte ich viel mehr Wetterglück, als ich zu Anfang erwartet hatte.
Das Wetterglück hat schon damit begonnen, dass ich während der Anfahrt durch den Regen gefahren bin, um dann bei Sonnenschein aus dem Auto zu steigen und zur Weissmieshütte aufzusteigen.

1. Tag
An meinem ersten Akklimatisationstag bin ich von der Weissmieshütte aus den Klettersteig auf das Jägihorn gegangen. Die Seilbrücke dieses Klettersteigs ist ganz witzig:



Fünfeinhalb Stunden nach dem Start von der Weissmieshütte zum Klettersteig war ich wieder trochen zurück bei der Hütte. Den am Nachmittag einsetzenden Regen konnte ich dann gemütlich aussitzen.

2. Tag
Am zweiten Akklimatisationstag wollte ich versuchen, soweit wie möglich zum Lagginhorn (4010 m) hochzukommen. Da der Grat zum Lagginhorn verschneit war, hatte ich wenig Hoffnung, weit zu kommen. Doch der Schnee auf dem Einser-Felsgrat war unproblematisch. Die einzige fünf Meter lange Felsplatte im zweiten Schwierigkeitsgrad lies sich auch bei Schnee problemlos bewältigen. So habe ich dann das Lagginhorn geschafft:



Der Ausblick vom Lagginhorn fand ich beeindruckend. Ich habe vorher noch nie so eine klar abgegrenzte Wolkendecke gesehen. Unten lag der Talort Saas Fee unter einer Wolkendecke. Über der Wolkendecke sieht man die verschneiten Gipfel der Mischabel-Gruppe:



Am Gipfel wollte ein Bergführer seinem Gast das Panorama erklären, wusste aber nicht mehr, wie der Gipfel rechts neben dem Dom heißt. Ich habe gerne dem Bergführer den Namen des Gipfels (Lenzspitze) genannt. Der Bergführer war daraufhin aus irgendeinem Grund eingeschnappt und ist dann grußlos vom Gipfel abgestiegen:



Laut Führerliterator benötigt man von der Weissmieshütte aus 4 Stunden zum Aufstieg auf das Lagginhorn und 2 Stunden für den Abstieg. Ich habe für den Aufstieg 3 Stunden und für den Abstieg 2 1/2 Stunden benötigt. Der große Unterschied zwischen Aufstiegszeit und Abstiegszeit in der Führerliterator ist unplausibel.

3. Tag
Laut Wettervorhersage sollte dieser Tag am Nachmittag leichte Regenschauer bringen. Deshalb bin ich an diesem Tag gemütlich den Höhenweg zur Almageller Alp gegangen. Die paar Regentropfen auf dem Rückweg liesen sich unter der Goretext-Jacke gut aushalten.

4. Tag
Nach den paar Akklimatisationstagen auf der Weissmieshütte bin ich ins Tal abgestiegen, um meinem Bergführer zu treffen. Der hatte zwischenzeitlich schon Erkundigungen eingeholt und herausbekommen, dass die erste geplante Tour, nämlich die Überschreitung von der Lenzspitze zum Nadelhorn, aufgrund des Neuschnees nicht machbar ist. Deshalb haben wir spontan den Plan geändert und sind nach Zermatt gefahren und auf die Rothornhütte aufgestiegen.

Der Aufstieg von 1600 Höhenmeter auf die Rothornhütte ist schon eine vollwertige Tagestour:



In der Mitte des obigen Bildes sieht man die Wellenkuppe (3903 m), links daneben das Obergabelhorn (4063 m). Unser Ziel war, an dem nächsten Tag auf die Wellenkuppe zu steigen.

Das Obergabelhorn ist durch einen halbbogenförmigen Felsgrat von der Wellenkuppe getrennt. Der einfachste Weg zum Obergabelhorn führt über die Wellenkuppe; danach muss man den halbbogenförmigen Grat zum Obergabelhorn weiter klettern. Da dieser Grat verschneit ist, konnten wir maximal bis zur Wellenkuppe.

Die beiden Berge Obergabelhorn und Wellenkuppe wurden von lieben Gott unschön angeordnet. Wenn die Wellenkuppe nur 100 Meter höher wäre und das Obergabelhorn 70 Meter niedriger, hätte man durch eine Bergtour auf die Wellenkuppe den Viertausender dieses Felsmassivs abgearbeitet. Aber so ist die Wellenkuppe nur ein Vorgipfel des Obergabelhorns, welcher überhaupt nichts für eine bessere Viertausender-Statistik beiträgt.

Als ich in Zermatt losgelaufen bin, war ich mit einem T-Shirt bekleidet. Eine halbe Stunde unterhalb der Rothornhütte habe ich dann angefangen zu frieren. Ich wollte dann aber nicht stehen bleiben und mir etwas Wärmeres anziehen, weil ich mir gedacht habe, dass man beim Aufstieg sowieso soviel Wärme produziert, dass man eigentlich nicht frieren sollte. Als ich dann im T-Shirt die Rothornhütte erreicht habe, habe ich angefangen zu frieren wie ein Schneider. Ich habe schon an mir gezweifelt und mich gewundert, warum ich in der Hütte so friere. Nach einer halben Stunde ist mir dann auch aufgefallen, warum ich so friere: das Steinhaus auf 3200 Höhenmeter wird nicht beheizt, weshalb sogar die Mädels in der Küche mit Jacke und Wollmütze arbeiten.


Die Rothornhütte hat auch eine antike Toilettenanlage. Das Schießhäusle wurde 30 Meter neben der Hütte direkt an einer senkrechten Felswand gebaut. Da sollte man Nachts nicht so oft müssen müssen.

5. Tag
Mein Bergführer macht morgens normalerweise Stress, damit er als erste Seilschaft von der Hütte loskommt. Dadurch vermeidet er, im folgenden Aufstieg von anderen Seilschaften ausgebremst zu werden. Diese Woche hatte er aber eine andere Taktik. Insgesamt wollten nur vier Gruppen auf die Wellenkuppe. Die anderen Gruppen haben alle um fünf Uhr in der Früh gefrühstückt. Mein Bergführer hat das Frühstück eine Stunde später angesetzt, weil er meinte, dass die ersten ja sowieso durch den ungespurten Neuschnee spuren müssen, und es sich deshalb nicht lohnt zu früh zu starten.

Beim Aufstieg zur Wellenkuppe haben wir die erste Seilschaft genau an der Stelle überholt, an der die Spurarbeit endet, d.h. dort wo man vom Gletscher in den Fels wechselt. Die beiden anderen Gruppen haben wir eine Viertelstunde später überholt. Diese beiden französischen Gruppen hatten sich im Felsgrat verklettert. Durch das Zeigen des richtigen Weges haben wir uns wenigstens für die Spurarbeit erkenntlich gezeigt: "Hey guys, you are on the wrong way!".



Der Aufstieg zur Wellenkuppe fordert auch eine interessante Kletterei:



Ich kann es immer noch nicht glauben, dass man beim Aufstieg zur Wellenkuppe so viel leisten muss, und am Ende das Tages hat man seine Viertausender-Statistik nicht verbessert.
Apropos Ende des Tages: Am Ende dieses Tages sind wir noch ins Tal abgestiegen.

6. Tag
Am Tag nach der Wellenkuppe sind wir zur Sella-Hütte gewechselt. Für diesen Hüttenwechsel mussten wir mit der Bahn auf das Klein-Matterhorn (3800 m) fahren und den Castor (4226 m) überschreiten, um zur Hütte zu kommen.

Interessanterweise führt der einfachste Weg vom Klein-Matterhorn zur Hütte über den Castor. Der Weg über den Gipfel ist einfacher als irgendein anderer Weg:



Auf dem letzten Wegstück zur Sella-Hütte ist Nebel aufgekommen. Ich musste mich wirklich wundern, wie der Bergführer in dem Nebel den Weg über den Gletscher finden kann.



Dieses Nebel-Bild sollte erklären, warum man auf einem Gletscher immer ein GPS-Gerät dabei haben sollte. Ohne GPS kann man sich im Nebel hoffnungslos verlieren.

7. Tag
Für diesen Tag war der Höhepunkt der Woche - die Lyskamm-Überschreitung - geplant.
Das folgende Bild zeigt den Lyskamm:



Die beiden Gipfel des Lyskamms (Ost-Gipfel und West-Gipfel) sind durch einen ein Kilometer langen Grat getrennt, der bei dieser Überschreitung begangen wird:



Beim letzten Schlussabstieg vom Lyskamm-Ostgipfel hatten wir einen Whiteout. Ich stande auf einem 40 Grad steilen Firngrat und sah nur noch weiß. Der weiße Nebel lies sich nicht mehr vom weißen Schnee unterscheiden. Fünf Minuten lang bin ich ohne Sicht nach unten gestochert. Danach ist der Bergführer voran gegangen und ist einfach direkt die Schneeflanke nach unten gelaufen.

Am Ende dieser Tagestour haben wir die höchstgelegene Gebäude Europas erreicht:



Die Margherita-Hütte wurde direkt auf der 4554 Meter hohen Signalkuppe gebaut.

Der Komfort auf der Margherita-Hütte ist überraschend gut. Im Unterschied zur Rothorn-Hütte wird die Margherita-Hütte mollig warm beheizt. Und die Toilette ist auf dem gleichen Stockwerk wie die Schlafräume und nicht etwa außerhalb des Gebäudes.

Dieser Tag war wieder gut für die Statistik, da ich am Ende des Tages drei neue Viertausender (Lyskamm-Westgipfel, Lyskamm-Ostgipfel und Signalkuppe) in mein Tourenbuch eintragen konnte.

8. Tag
Ursprünglich hatten wir geplant, dass wir von der Margherita-Hütte die Überschreitung über die Zumstein-Spitze zur Dufour-Spitze (höchster Schweizer Berg) machen. Dieser Weg zur Dufourspitze war aber wegen dem Neuschnee auf dem Felsgrat problematisch. Da ich sowieso schon auf der Dufourspitze war, haben wir kurzfristig den Plan geändert und statt dessen einige Viertausender rund um die Signalkuppe gesammelt:
- Zumsteinspitze
- Parrotspitze
- Ludwigshöhe

Das folgende Bild zeigt rechts die Signalkuppe mit der Margherita-Hütte, in der Mitte die Zumsteinspitze und links die Dufourspitze:



Nach dem Erreichen der Zumsteinspitze sind wir weiter zur Parrotspitze, von wo aus wir einen guten Blick auf das Schwarzhorn (Mitte links) und die Ludwigshöhe (Mitte rechts) hatten:



Nach dem Abhaken der Ludwigshöhe sind wir über den Grenzgletscher und die neue Monta-Rosa-Hütte ins Tal abgestiegen.

Dieser Tag war wieder gut für die Statistik, da für mich drei neue Viertausender hinzukamen.

9. Tag
Der letzte Tag mit dem Bergführer war eigentlich als Puffertag für schlechtes Wetter vorgesehen. Da kein einziger Tag wegen schlechtem Wetter ausgefallen ist, galt es zu überlegen, was man an diesem Tag machen kann.
Die Wahl fiel auf den Alphubel (4206 m).

Bei dem Begriff Alphubel habe ich zuerst an einen einfachen Schneeberg gedacht, der einen einfachen Anstieg über den Gletscher hat. Schließlich hat der Alphubel einen breiten schneebedeckten Rücken, ganz im Gegensatz zu den Felszacken in seiner Nachbarschaft.

Der gewählte Anstieg über das Feejoch und den Feekopf war jedoch wesentlich interessanter als erwartet:



Der Bergführer hat die Überschreitung des Feekopf-Grates als nette Klettere im zweiten Schwierigkeitsgrad mit Steigeisen beschrieben.

Auch das letzte Steilstück zum Alphubel hoch hatte es in sich:



Als Rückweg war eigentlich der einfache Normalweg über den Gletscher geplant. Dieser Gletscher hatte aber so viele Spalten, dass sich noch niemand getraut hatte, eine Spur über den Gletscher zu legen. Also mussten auch wir wieder den schwierigeren Rückweg über den Feekopf nehmen.

Die Hütten waren in dieser Woche auch angehmerweise nur zu einem Drittel belegt. Die meisten Gäste kommen wohl erst dann, wenn ein dauerhaft stabiles Hochdruckwetter angesagt ist. Da auf den Hütten immer nur ca. 20 Bergsteiger übernachtet habe, gab es morgens kein Gedränge beim Frühstück. Und Nachts lag man nicht dicht eingeklemmt zwischen mehreren Schnarchern.

Diese Hochtourenwoche hat sich wirklich gelohnt. Wenn ich eine solche Hochtourenwoche im Auge habe, bin ich motiviert, acht Monate lang gesund zu leben, nicht mit dem Saufen oder Rauchen anzufangen, nicht zuzunehmen und zu trainieren. Alleine die gesundheitlichen Vorteile einer solchen Hochtourenwoche sind unschätzbar. Wieviel ist es denn Wert, wenn man mit 60 Jahren keinen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenkrebs bekommt? Gerade hat ein 54-jähriger KFZ-Meister aus der Nachbarschaft 3 Bypässe bekommen, um den drohenden Herzinfarkt im letzten Moment abzuwenden. Der hat zuviel geraucht und getrunken. Wenn man sich mal überlegt, was für ein Geldwert eine Gesundheitsvorsorge in Form einer jährlichen Hochtourenwoche ist, lohnt sich eine solche Hochtourenwoche wirklich.

 
CheckIns
Hallo Dirk,

absolut beeindruckend. Abgesehen davon, daß ich schon beim Lesen Höhenangst bekomme - meinst du, eine solche Hochtour ist für Jeden was? Die Gesundheitsargumente sind ja überzeugend ;-)

Hast du dich auf den Gipfeln eingetragen? Oder sogar eingecheckt? Oder interessiert dich das nicht?

merci,
Michael

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Hallo Michael,

Alle Arten von Bergsport kann ich nur emfehlen. An solche anspruchsvollen Hochtouren muss man sich aber über mehrere Jahre hinweg heranarbeiten. Verschiedene Bergsteigerschulen wie z.B. der DAV Summit Club bieten dazu Einsteigerkurse an, bei denen man erst einmal das Gehen mit Steigeisen erlernt. Dann muss man nach und nach Erfahrung sammeln und seine Fähigkeiten steigern.
Das Klettern im Fels kann man auch gut in Klettersteigen üben.

Das A und O des Bergsports ist die Kondition und körperliche Fitness. Viele bei Bergsteigerschulen gebuchten Bergtouren scheitern daran, dass die Gäste ihre Kondition falsch eingeschätzt haben. Wenn man nicht mindestens zwei bis drei mal die Woche Joggen geht (meinetwegen auch Radfahren), geht nicht viel.

In den Gipfelbüchern habe ich mich nicht eingetragen. Daran habe ich gar nicht gedacht. Dies ist auch nicht üblich. Wenn drei Seilschaften mit jeweils drei Personen am Gipfel ankommen, hat keiner davon das Gipfelbuch herausgeholt. Ich weiß nicht einmal, ob auf jedem Gipfel ein Solches vorhanden ist.

Gruß
IT-Single

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