Sonntag, 8. Juli 2012
Irgendwann reicht es
Immer dann, wenn ich aus gesellschaftlichen Verpflichtungen nach der Arbeit gleich in die katholische Kirche muss, bin ich mit dem Leben sehr unzufrieden. Da arbeitet man den ganzen Tag, muss sich dann noch abrennen um in die Kirche zu kommen, und bekommt dann gesagt, dass man ein Sünder ist, der sich jetzt niederknien muss, damit er nicht in die Hölle kommt. Ich bin dann sehr unzufrieden mit dem Leben und fühle, dass es so auf keinen Fall weiter gehen kann.

Diese Woche gab es wieder so einen Tag. Meine Tante war gestorben und meine Mutter hat mich informiert, dass ich unbedingt an der Beerdigung teilnehmen muss. Diese Verpflichtung kam mir von Anfang an etwas spanisch vor. Über Wikipedia habe ich herausgefunden, dass die Verstorbene nicht meine Tante ist. In Wikipedia stand, dass diese Verwandtschaftsbeziehung keinen richtigen Namen hat und höchsten angeschwägerte Tante genannt werden kann. Meine angeschwägerte Tante habe ich seit mehr als drei Jahren nicht mehr gesehen, beim letzten großen Runden Geburtstag im meiner Familie ist sie nicht zu Besuch gekommen. Deshalb habe ich mich gewundert, warum ich jetzt zur Beerdigung muss. Aber ich war noch nicht auf so vielen Beerdigungen und kannte die Gepflogenheiten nicht, deshalb habe ich mich auf die Aussage meiner Mutter "das gehört sich so" verlassen.

An dem Tag der Beerdigung habe ich einen halben Tag Urlaub genommen und darauf geachtet, dass ich früh aus dem Geschäft komme, bevor mich ein wichtiger Anruf oder etwas ähnliches aufhält. Dann bin ich direkt von der Arbeit nach Haus gefahren, habe einen Anzug angezogen, bin weitergefahren, um meine Mutter abzuholen, zum Ort der Beerdigung gefahren, noch zu weitere Trauergäste abgeholt, um dann auf dem Parkplatz neben dem Friedhof zu parken. So war ich dann erst einmal mehr als eine Stunde unterwegs und habe mich ziemlich abgehetzt gefühlt.

Am Friedhof bekam ich dann zu hören "du kannst ja vor der Leichenhalle stehen bleiben". Diese Aussage hat mich sehr verwundert. Warum muss ich einen halben Tag Urlaub nehmen, und bin es dann nicht Wert, in die Leichenhalle zu gehen. Bei dreißig Grad im Schatten ist es aber keine gute Idee, im Anzug eine Stunde vor der Leichenhallte zu stehen, wo man keinen Schutz vor der herunterbrennenden Sonne findet.

In der Leichenhallte saß ich alleine unter cirka 120 Rentnern. Ich musste leider feststellen, dass ich der einzige Besucher war, der weder Rentner noch Kind oder Enkel der Verstorbenen ist. Die einzige Ausnahme dieser Regel waren zwei Hausfrauen im Alter von cirka fünfzig Jahren. Da man bei diesen Hausfrauen aber sowieso nicht unterscheiden kann, wann das Hausfrauendasein offiziell endet und die Frührente beginnt, würde ich diese Hausfrauen als Rentner zählen. Da wurde mir klar, dass ich angelogen wurde. Es ist keinesfalls so, "dass es sich so gehört", einen halben Tag Urlaub zu nehmen, um zur Beerdigung der angeschwägerten Tante zu gehen. Vielmehr hatte meine Mutter nur einen Chaffeur benötigt, und mir deshalb etwas Falsches erzählt. Hätte ich das gewußt, hätte ich meiner Mutter lieber 50 Euro für ein Taxi gegeben. Wobei ein Taxi nicht einmal nötig gewesen wäre, weil die Stadtbahnverbindung dorthin auch sehr gut ist.

Das Ritual der Beerdigung kann man auch so gestalten, dass ein Atheist sagt, dass der Pfarrer es gut gemacht hat. Die Beerdigung fand aber in einem Ort statt, der sehr erzkatholisch ist. Dazu kommt noch, dass eine Schwester der Verstorbenen im Kloster ist und die Verstorbene selbst sehr gerne die heilige Mutter Maria angebetet hat. Deshalb wurde vor der eigentlichen Beerdigungszeremonie des Rosenkranz gebetet. Die fünf Nonnen beten dabei laut vor "Heilige Maria, Mutter Gottes, gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.". Die über Hundert Renter sprechen dann im Chor nach: "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes". Ich saß gefühlte vier Stunden mitten in diesem Rentnerchorr, der in einer Endlosschleife die immer gleichen Strophen wiederholt hat. Dieses Ritual fand ich furchtbar. Die Katholiken reden immer nur über Leid und Tod und stempeln jedem Menschen gleich als großen Sünder ab.

Gleich nach der Einbettung des Sargs haben die anwesenden Rentner dann angefangen, Bekannte zu treffen und sich munter zu unterhalten. Ich selbst hätte zuviel Respekt für der Totenruhe, weshalb ich nicht auf dem Friedhof meinen Kumpel anhauen würde und fragen würde, wie er das neueste Computerspiel findet. Über dem Eingangsportal einer katholischen Kirche ist die stete Mahnung eingemeiselt: "Mein Haus sei ein Bethaus". Diese Befangenheiten haben die Anwesenden Rentner nicht gehabt. Manche Rentern gehen zur Beerdigung wie andere ins Kino - mir ist langweilig, was steht denn gerade im Programm?

Wenn man merkt, dass es so nicht weitergehen kann, hat man die Wahl: entweder ergibt man sich und bekommt ein Burnout, oder man fängt an sich zu wehren. Deshalb musste ich meiner Mutter auf dem Heimweg klar machen, dass ich es sehr schlecht fand, dass sie mich angelogen hat, um mich als Chaffeur misbrauchen zu können. Dieses Thema habe ich begonnen mit: "Ist euch schon aufgefallen, dass ich die einzige anwesende Person war, weder Rentner noch Kind oder Enkel der verstorbenen Person war?". Dieses Argument wurde überhaupt nicht gehört. Meine nächste Frage war: Warum musste ich unbedingt einen halben Tag Urlaub nehmen, während meine Schwester, die an diesem Tag als Halbtagskraft sowieso frei hatte, einen gemütlichen Tag zu Hause verbringen konnte? Auf diese Frage habe ich auch keine sinnvolle Antwort bekommen. Statt dessen hat meine im Auto mitfahrende Tante (anderer Familienzweig als die der Verstorbenen, hat nur die günstige Mitfahrgelegenheit zum Bekanntentreffen genutzt) die Lautstärke erhöht und mich wie ein kleines Kind ausgeschimpft: "Jetzt hör aber mal mit der Motzerei auf!". Ich wollte nur eine Entschuldigung, aber statt der Entschuldigung werde ich von der dominanten und rechthaberischen Tante ausgeschimpft wie ein kleines Kind.

Meine Mutter greift dann zu dem Mittel, dass Rentner gerne anwenden, wenn man sagt, wie gut es manchen Rentnern geht: "Damals vor fünfzig Jahren....". Ja, damals vor fünfzig Jahren, als deren Mutter ins Krankenhaus musste. Da ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... ... Ich war jedes Wochenende im Krankenhaus, während andere im Kino waren. Die Erzählung klang so, als wäre die Erzählerin noch nie im Kino gewesen, weil ihre Mutter dreißig Jahre und nicht ein paar Tage im Krankenhaus war. Die Erzählerin hat sich dann so in die Geschichte reingesteigert, dass sie nicht mehr aufzuhalten war.

Nach dieser Veranstaltung war mir klar, dass ich mich wehren muss. Ansonsten werde ich so lange ausgenutzt, bis ich einen Burnout bekomme.

Zu dem Bestattungsritual möchte ich noch Folgendes ergänzen: Laut Wikipedia dient das Bestattungsritual nur der Trauerbewältigung der Angehörigen. Wenn Beerdigungsbesucher sich direkt nach dem Herunterlassen des Sargs munter auf dem Friedhof unterhalten und dabei keine Trauer zeigen, sollten sie nicht die Beerdigung besuchen, um nicht die wirkliche Trauer der nahen Angehörigen zu stören. Die Mahnung über dem Eingang der Kirche "Mein Haus sei ein Bethaus" sollte erst recht bei Beerdigungen berücksichtigt werden. Jesus hat früher die Händler aus der Kirche vertrieben, welche die Kirche für ihre Geschäfte genutzt haben. Heute würde er die Rentner vom Friedhof vertreiben, die den Friedhof als Schwätzchen-Treffpunkt benutzen.

Im Matthäus-Evangelium, Kapitel 8, Vers 19 bis 22 steht geschrieben:
Und es trat ein Schriftgelehrter herzu und sprach zu ihm: Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst.
Jesus sagt zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt hinlege.
Und ein anderer unter den Jüngern sprach zu ihm: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.
Aber Jesus spricht zu ihm: Folge du mir, und laß die Toten ihre Toten begraben.

 
Naja, ist wohl nicht so gut gelaufen. Ich hätte mich sicher auch geärgert, wenn ich mich so ausgenutzt gefühlt hätte. Allerdings wundert es mich nicht, dass keine Entschuldigung auf die entsprechende Kritik kam. Vorwürfe sind da selten hilfreich.
Es gibt vielleicht auch gute Gründe für das Verhalten der alten Leute und auch Ihrer Mutter. Diese hat Sie vielleicht ausgenutzt, aber sicher nicht in böser Absicht. Vielmehr wollte sie Sie vielleicht mal wieder sehen, wollte stolz auf ihren Sohn sein oder was auch immer. Sie hatte sicher nicht die Absicht, Sie zu verärgern.
Die alten Leute leben ihn ihrer Welt und wenn sie sich am Grab "despektierlich" verhalten, dann vielleicht deshalb, um (unbewusst) zu verdrängen, dass sie vielleicht die nächsten sind, die Anlass zu einer Beerdigung sind ...
Ich selbst beschränke den Kontakt zu meinen Eltern auf ein Minimum und versuche dann, Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg zu gehen. Ein paar Stunden hält man das durch und macht gute Miene zum (vielleicht gar nicht so bösen) Spiel.

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Nicht sehr nett, was da mit Ihnen gemacht wurde, aber Sie haben Recht sich dagegen zu wehren.

Mir kam auch gleich beim Lesen der Gedanke ans Taxigeld. Wenigstens hätten Ihre Mutter & Tante so ehrlich sein können, das zuzugeben.

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