Samstag, 30. Januar 2016
Wie man sich vor moralischen Dilemmas drückt
In der Ethiktheorie kennt man das Weichenstellerproblem als Beispiel für ein moralisches Dilemma. Bei diesem Problem erkennt ein Spaziergänger, dass ein Zug führerlos den Berg hinab rollt. Wenn der Zug so weiter rollen würde, würde er fünf auf den Bahngleisen spielende Kinder überrollen. Da die spielenden Kinder zu weit weg, kann der Spaziergänger den Kindern nicht zurufen. Der Spaziergänger hat nur eine Handlungsoption: er kann eine Weiche so umstellen, dass der Zug auf ein anderes, eigentlich stillgelegtes Gleis umgeleitet wird. Auf diesem anderen Gleis sitzt aber ein Angler. Das moralische Dilemma ist nun, dass unabhängig davon, ob die Weiche umgestellt wird oder nicht, immer mindestens ein Mensch zu Schaden kommt.

Aus Sicht des Gesetzbuches macht sich der Spaziergänger in jedem Fall strafbar: Falls er die Weiche umstellt wegen Totschlag und falls er die Weiche nicht umstellt wegen unterlassener Hilfeleistung. Die verschiedenen Religionen geben für diesen Fall auch keine klare Antwort.

Ich würde in dieser Situation vermutlich die Weiche umstellen, und hätte danach ein sehr schlechtes Gewissen, wenn ich der Witwe des Anglers erklären müsste, warum ich durch eine aktive Handlung ihren Mann getötet hätte. Die meisten Menschen würden aber in dieser Situation anders handeln: nämlich mit den Händen in den Hosentaschen neben der Weiche stehen bleiben, so tun als hätten sie keine Handlungsoption, und dann auf Facebook und Twitter brüllen, dass der Bahnkonzern an allem Schuld ist.

Diese Ethiktheorie geht an der Realität vorbei, da sie die typischen Argumentationsmuster der Menschen übersieht. Ein typisches Verhalten ist, lieber den Großkonzernen und dem Staat die Schuld zuschieben, als selbst etwas zu verbessern. Das andere typische Verhalten ist, sich ein bequemes Weltbild zurechtzulügen, und alle Dinge auszublenden, die nicht in das eigene hübsch konstruierte Weltbild passen.

Ein Beispiel für das erste Verhalten sind die Arbeitslosen und Hausfrauen, die in den sozialen Medien mehr Steuermilliarden für die Flüchtlinge fordern, aber selbst nie auf die Idee kommen würden, ihre viele Freizeit sinnvoll für die Flüchtlingshilfe einzusetzen. Ein Beispiel für das zweite Verhalten ist der Todesfall Khaled Idris Bahray: nachdem zuerst spekuliert wurde, dass dieser Asylbewerber von Neonazis erstochen wurde, gingen Tausende auf die Straße, aber nachdem die Polizei ermittelt hat, dass er von seinem eritreischen Mitbewohner erstochen wurde, hat plötzlich niemand mehr darüber geredet.

Viele Menschen weigern sich beharrlich, die Realität war zunehmen, sondern lügen sich ein bequemes Weltbild zurecht. Die Grundannahme dieser Gutmenschen ist, dass er Staat unendlich viele Milliarden Euro für soziale Wohltaten hat, so dass man alle Probleme durch mehr Steuergeld lösen kann. Weiterhin blenden diese Gutmenschen einfach unangenehme Wahrheiten aus. Wenn diese Gutmenschen auf Facebooks dann noch ein paar Likes für den Vorschlag vergeben, dass der Staat doch noch ein paar Milliarden Euro mehr für irgendetwas Soziales ausgeben können, denken diese Gutmenschen, sie wären die größten Heiligen auf der Welt. Diese Gutmenschen mögen formal atheistisch sein, aber in Wirklichkeit gehören sie einer gefährlichen Wohlfühlaktivismus-Religion an, welche ich schlimmer finde als einige andere Religionen.

 
medien machen faul. meinung ersetzt handeln. meinung ist aber meist noch nicht mal meinung, weil sich nicht mal die mühe gemacht wird, sie auf fakten aufzubauen bzw. - weil fakten heutzutage eher verschleiert und zu populistichen zwecken missbraucht werden - fakten zu vergleichen und sich dem quäntchen innewohnende wahrheit zu nähern. meinung ist nur noch narzissmus: hey, ich kann auch auf fressenbuch rumkrakeelen.

ich habe allerdings nicht den eindruck, dass nur arbeitslose und hausfrauen staatliches handeln fordern. ich halte diesen bevölkerungsanteil eher für den passiven. die kümmern sich um ihre welt: einkaufen, kinder versorgen, daddeln, fernsehen. hinter pegida stehen keine sozialversager, sondern bildungsbürger und mittelschicht. die afd-wähler sind auch keine hausfrauen, sondern fast ausschließlich männlich, hat neulich eine studie ergeben. (was dann auf fressenbuch sofort zum bashing gegen frauen führte, da diese angeblich mit ihrer passivität und naivität und ihrem nichtwählertum ihre männer zum afd-wählen aufstacheln würden, hihi - das nächste schöne beispiel für faktenfremdheit.)

ich erkläre das phänomen gern biologisch: trifft eine zu hohe anzahl derselben spezies im gleich biotop aufeinander, kommt es zu verhaltensveränderungen. aggressivität, verringerte reproduktion, nachlassen der tötungshemmung. das ist ein darwinistischer instinkt, nach dem alle menschen funktionieren. wir wollen überleben. spitzen sich die konflikte zu, kommt es zu einem hauen und stechen nach dem motto "jeder gegen jeden". nazis gegen fllüchtlinge, gutmenschen gegen nazis, männer gegen frauen, feministen gegen männer, arm gegen reich, reich gegen sozialschmarotzer.

ich als working poor-angehörige mit steuerklasse 1 und meinem hang zur grundehrlichkeit auch in der steuererklärung habe kürzlich selbst festgestellt, wie meine wut mal wieder hochkocht, wenn ich höre, wie viele milliarden uns an steuergeldern durch superreiche wirtschaftsbetrüger flöten gehen. damit könnten wir syrien und den ganzen balkan jahrelang durchfüttern. oder wenn sich mein ingenieurskumpel mit den 80.000 jahresgehalt über die hohen gez-beträge beschwert. ich zahle die ja auch - mit nicht mal einem viertel davon.

altruismus gibt es nicht. nur synkretismus. und der ist sehr anfällig für gier, neid und hass.

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