Meine Hochtourenwoche im Wallis war enttäuschend. Wir hatten uns zu Zweit einen Bergführer genommen. Aufgrund des Wetters, nämlich starken Wind und Schneefall, konnten wir von den fünf geplanten Tourentagen nur einen Tourentag wie geplant durchführen. An den anderen Tagen waren wir zwar auch unterwegs, aber auf einfacheren und kürzeren Wegen. So viel Wetterpech hatte ich noch nie.
Zur Akklimatisation bin ich vier Tage vorher angereist und auf die Weissmieshütte aufgestiegen:
Es ist schwierig, ein schönes Foto dieser Weissmieshütte zu machen. Diese Hütte liegt nämlich mittlerweile in einem Skigebiet, weshalb es schwierig wird, eine Perspektive zu finden, bei der man nicht eine Schneekanone oder eine von mehreren Skiliften auf dem Foto hat. Als Bergwanderer kann man nur feststellen, dass dieses Skigebiet die Romantik der Hütte zerstört hat.
An meinem ersten Akklimatisationstag bin ich von der Weissmieshütte aus den Klettersteig auf das Jägihorn gegangen. Dieser Klettersteig hat wirklich einige interessante Stellen. Die 1oo Meter lange Seilbrücke des Klettersteigs habe ich aber umgangen, da es gerade windig war, und ich von früher wüsste, dass man auch ohne Wind auf der Mitte der Seilbrücke ganz schön ins Schaukeln kommen kann. Auf dem Abstieg von Klettersteig habe ich dann noch einen Steinbock gesehen, der ganz furchtlos mitten auf dem Weg saß:
Am zweiten Akklimatisationstag stand das Lagginhorn auf dem Programm:
Das Lagginghorn ist der Einzige Viertausender, den man alleine besteigen kann, da keine Gefahr durch Gletscherspalten droht.
Am Nachmittag des Vortages habe ich extra noch das erste Wegstück erkundet, um beim Zustieg keine unnötige Zeit zu verlieren.
Der Solo-Aufstieg auf das Lagginhorn hat dann auch sehr gut geklappt, 100 Höhenmeter unterhalb des Gipfels hat jedoch Schneefall eingesetzt, weshalb ich umdrehen musste. Ein paar Felsplatten auf dem Weg können nämlich bei Nässe gefährlich glatt werden.
Auch wenn ich das Lagginhorn nicht vollständig besteigen konnte, muss ich sagen, dass dieser Tag ein kleines Abenteuer war. Es ist viel interessanter, eine Tour selbst zu planen und durchzuführen, als nur dem Bergführer hinterher zu laufen. Wenn man nur dem Bergführer hinterher läuft merkt man sich oft den Weg nicht, den Zustieg zum Lagginhorn habe ich mir jetzt aber so gut eingeprägt, dass ich ihn auch Jahre später noch Nachts im Schein der Stirnlampe finden könnte.
An meinem dritten Akklimatisationstag war das Wetter windig und kalt mit vereinzelten Regenschauern. Deshalb habe ich keinen zweiten Anlauf auf das Lagginhorn gestartet, sondern bin den Höhenweg von der Weissmieshütte zur Almageller Alp gegangen. Dieser Höhenweg ist auch schön, vor allem wenn man als Einkehrziel die Almageller Alp hat.
Am Sonntag haben wir unseren Bergführer in Saas Fee getroffen und sind auf die Mischabelhütte aufgestiegen. Die Hütte war ziemlich voll. Das Matrazenlager in unserem Schlafraum hatte die Form eines Halbkreises. Mein Oberkörper hatte wenig Platz zum Umdrehen und meine Beine, die näher an der Mitte des Halbkreises waren, waren noch mehr eingeklemmt. Das ging aber auch nur bis vier Uhr morgens, dann war die Nacht schon zu Ende.
Das folgende Bild zeigt die Mischabelhütte und unsere geplante Route:
Wir wollten von der Mischabelhütte zuerst auf dem rot markierten Weg zur Lenzspitze (4249 m) hochklettern. Danach war die Überschreitung zum Nadelhorn (4327 m) geplant. Der Grat zwischen dem Lenzspitze und dem Nadelhorn bietet ein paar Stunden lang eine schöne Kletterei im dritten Schwierigkeitsgrad. Beim Aufstieg hat der Bergführer aber schon das sich verschlechternde Wetter bemerkt und sich deshalb für den einfachen Weg auf das Nadelhorn entschieden, der in dem Bild blau eingezeichnet ist. Dieser Weg war für mich nicht neu, auf diesem Normalweg bin ich schon einmal auf das Nadelhorn gestiegen.
Ab dem Windjoch geht man zum Nadelhorn auf einem Firngrat, in dem man voll dem Wind ausgesetzt ist. Dieser Wind hat uns den nasskalten Schnee ins Gesicht gepeitscht. Nach der Rückkehr sahen wir aus, als wären wir von der Seite angesprüht worden:
An diesem Tag habe ich mir eine kleine Erfrierung am Zeigefinger geholt. Beim Aufstieg hatte ich nur dünne Fleece-Handschuhe an, die dazu passenden Goretex-Überhandschuhe lagen irgendwo mitten im Rucksack. Ich habe schon gemerkt, dass meine Finger frieren und langsam taub werden. Aber wenn ich bei diesem Wind meinen Rucksack nach den Überhandschuhen durchsucht hätte, wäre alles, was sich nicht in dem Rucksack befindet oder mit den Händen fest gehalten wird, von Wind weggerissen worden. Und der Bergführer hat Nonstop am Seil gezogen. Also habe ich das Frieren an den Fingern bis zur nächsten windgeschützten Rast ignoriert. Drei Tage nach dieser Tour hat sich eine weiße Blase auf dem Zeigefinger gebildet, die weitere vier Tage später schwarz geworden ist. Diese schwarze Blase heilt hoffentlich vollständig ab, aber das nächste Mal sollte mir das nicht mehr passieren.
Am zweiten Tourentag stand die Breithorn-Überschreitung auf dem Programm. Dieser Tag war der einzige Tag, bei dem die geplante Tour vollständig geklappt hat.
Das Breithorn-Massiv besteht aus fünf offiziellen Viertausendern. So kann man an einem Tag fünf Viertausender für sein Tourenbuch sammeln.
Diese Breithorn-Überschreitung beginnt man am östlichsten Gipfel, dem Roccia Nera (4075 m). Von dort aus geht man auf dem Firngrat zu den beiden Breithorn-Zwillingen, die wie Felszapfen herausstehen. Der Aufstieg zu diesen Breithorn-Zwillingen ist eine schöne Felskletterei im dritten Schwierigkeitsgrad. Auf der anderen Seite der Breithorn-Zwillinge seilt man sich dann wieder auf den Firngrat ab. Danach erklettert man den Mittelgipfel über einen Felsgrat, ab dort geht man nur noch auf einem Firngrat zum westlichsten Gipfel weiter. Der komplette Breithorn-Grat ist zwei Kilometer lang.
Hier eine kleine Impression von der Breithorn-Überschreitung:
(Ein Klick auf das Bild führt zu einem größeren Bild).
Diese Breithorn-Überschreitung ist wirklich lohnenswert.
Während der Kletterei am Breithorn hat der Bergführer einmal das umgehängte Seil heruntergenommen und dabei versehentlich seine Gletscherbrille heruntergerissen. Diese Gletscherbrille ist dann gleich eine steile Schneerinne heruntergefallen und war damit unwiderbringlich verloren.
Eine verlorene Gletscherbrille stellt schon ein Problem dar, wenn man auf dieser Höhe auf dem Gletscher unterwegs ist, wird man ohne Gletscherbrille Schneeblind.
Der Bergführer sagte dann, dass er zwar keine Ersatzbrille dabei hat, aber Ersatzgläser. Nach dieser Aussage vom Bergführer habe ich mich minutenlang gefragt, wie man Gläser dabei haben kann, aber keine Brille. Diese Frage hat sich dann geklärt: Der Bergführer hatte die reinen Ersatzgläser dabei, aber kein Gestellt. Diese Gläser hat er dann mit einem Tape an seinem Kopf festgeklebt.
Es erstaunt mich immer wieder, dass die Bergführer deutlich kleinere Rucksäcke als ihre Gäste haben, und aus diesen Rucksäcken dann noch ein Seil herausziehen. An dem Beispiel dieser Gläser sieht man, wie so etwas gehen kann: die reinen Gläser nehmen ja viel weniger Platz im Rucksack weg als eine Brille mit dem Gestell, also nimmt ein Bergführer nur die reinen Ersatzgläser mit.
Nach ein paar Minuten Gehzeit mit den angetapten Gläsern hatte der Wind die Gläser fortgerissen und über eine mäßig steile Schneeflanke geweht. Daraufhin hat der Bergführer gesagt: Bindet euch mal aus dem Seil aus und geht alleine zum Breithorn, ich hole derweil meine Gläser zurück.
Am dritten Tourentag wollten wir von der Ayas-Hütte (auf dem Lambrunegg-Felsen) aus erst den Castor und dann den Liskamm überschreiten.
So lange wir in der Flanke des Castors waren, war der Wind noch zu ertragen. Dann hat mich der Bergführer auf den Gipfel des Castors vorgehen lassen. Nach Angaben des Bergführers hatte der Wind direkt auf dem Grat eine Geschwindigkeit von 80 km/h. Ich bin auf den Grat hochgeklettert, wo ich direkt dem Wind ausgesetzt war, und dann gleich in Kampfstellung gegangen. Meine Seilpartnerin meinte dann erst, dass sie es bei diesem Wind nicht hochschafft. Ich habe sie dann am Seil noch hochgezogen. Bei diesen Windverhältnissen war an die folgende Liskammüberschreitung nicht mehr zu denken. Wir haben es dann bei dem Castor, immerhin ein weiterer neuer Viertausender für mich, belassen und sind zur Sellahütte abgestiegen.
Am vierten Tourentag sind wir auf einem Wanderweg von der Sellahütte zur Mezzalamahütte gewechselt.
Am Anfang dieses Tages hatten wir noch leichten Regen, später hat sich dann vollständig die Sonne durchgesetzt.
Die Mezzalamahütte ist eine sehr urige italienische Berghütte, auf der unsere Dreiergruppe die einzigen Übernachtungsgäste waren:
Die original italienische Hüttenwirt stand mehrere Stunden in der Küche, um nur für uns Drei ein sehr leckeres Abendessen zuzubereiten. Ich konnte zuschauen, wie er in der Küche stand und auf einem Holztisch den Knödelteig geknetet hat. Das Abendessen war wirklich ein Gedicht. Als ersten Gang gab es eine Gemüsesuppe, zu der eine große Menge von sehr gutem Bergkäse gereicht wurde. Das Hauptmenü waren selbstgemachte Knödel, die mit Gemüse gefüllt waren, sowie Hackfleisch-Würstchen und Kartoffelpürree. Bezüglich der Nachspeise habe ich schon eine Stunde vorher auf Schokoladenpudding gehofft - so lange hing nämlich der verführerische Duft von heißer Schokolade in der Luft. Statt dessen gab es aber selbst gemachten Kuchen (ohne Schokolade).
Der einzige Nachteil dieser Hütte war, dass nicht geheizt wurde. In dem Matrazenlager herrschte eine Lufttemperatur von 9 Grad. Am Morgen hatte selbst der Hüttenwirt in der Küche gefroren.
Die Hocktoiletten auf der Mezzalamahütte waren typisch italienisch. Wenn man als Deutscher in eine solche Toilettenkabine geht, wundert man sich zuerst, wo die Toilettenschüssel ist, weil man nur ein Loch im Boden sieht. Auf dieser Toilette habe ich beim Ziehen der Spülung noch ein Plastikteil abgebrochen - italienische Technik eben. Typisch war auch wieder, dass man von der Schweizer Grenze zum deutschsprachigen Wallis aus nur wenige Kilometer zu einer italienischen Hütte absteigen muss, und dann wird dort kein Wort Deutsch verstanden. Ich konnte mich dort immer nur mit Englisch verständigen. Typisch für die italienischen Hütten ist auch, dass es als Vorspeise in der Regel keine Suppe, sondern sehr gute Pasta gibt. Darum wird die Monte-Rose-Durchquerung, bei der man auf solchen italienischen Hütten übernachtet, auch Spaghetti-Tour genannt.
Am fünften und letzten Tourentag sind wir auf den Pollux (4091 m) gestiegen:
Nach diesem Tourentag sind wir in Rosi's Hotel Bergfreund in Herbriggen gegangen, um endlich mal wieder warm zu Duschen. In diesem Hotel sind die Bergsteiger willkommen, die unangemeldet mit verschwitzter Kleidung auftauchen, und dann nur eine Nacht bleiben wollen. Alle anderen Hotels möchten ja nur Gäste, die mindestens eine Woche bleiben.
Die folgenden beiden Bilder zeigen Herbriggen und das von Herbriggen aus sichtbare Breithorn. Die beiden Bilder unterscheiden sich nur durch ihre Belichtung, abhängig von dieser Belichtung sieht man entweder nur Herbriggen, oder nur das Breithorn, und Herbriggen liegt im Dunkeln. Kann mir mal ein Fotoexperte sagen, wie man zwei Objekte, die eine ganz unterschiedliche Belichtung benötigen, auf einem Bild unterbringen kann? Ein nachträgliches Zusammenkopieren ist ja auch nicht so einfach möglich, da man dann gleich ein Absatz hat, der dem menschlichen Auge sofort auffällt.
Auch wenn diese Woche stark vom Wetterpech geprägt war, konnte ich danach sechs neue Viertausender in mein Tourenbuch eintragen: Castor, Pollux und vier der fünf Breithörner. Damit war ich nun auf insgesamt 17 Viertausender.